Ruhrgebiet stärkt den neuen Bundesverband Industriekultur
Rund 120 Gründungsmitglieder haben am 1. April auf Zeche Zollern in Dortmund den neuen Bundesverband Industriekultur ins Leben gerufen. Neben dem Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe gehört der Regionalverband Ruhr (RVR) zu den institutionellen Förderern, deren finanzielles Engagement die Vereinsgründung ermöglicht hat. Fragen an Timo Hauge, Leiter des Teams Industriekultur beim Regionalverband Ruhr und jetzt auch Beisitzer im Vorstand des neuen Bundesverbands.

Foto: LWL / Philipp Harms
Herr Hauge, welche Hoffnung verbindet sich mit der Gründung des Verbandes – auch mit Blick auf die Region?
Im Land NRW und in der Region erhält die Industriekultur in aller Regel viel Unterstützung. Es gibt aber bundesweit viele Regionen, wo sich die öffentliche Hand mit der Förderung der Industriekultur immer noch zurückhält und vieles auf tönernen Füßen steht. Es ist daher klar, dass wir uns bei allen Herausforderungen noch breiter und stärker aufstellen müssen.
Wir sind im Bundesverband – und nicht nur im Vorstand – darüber hinaus der festen Überzeugung, dass das postindustrielle Zeitalter mindestens genauso wichtig ist und kulturelle Anerkennung erfahren müsste wie das postfeudale oder das postkoloniale Zeitalter. Das sind Zeitalter, die beispielsweise mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder der Stiftung Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburgs vom Bund stark repräsentiert und gefördert werden. Das postindustrielle Zeitalter, in dem wir uns bewegen, und auch das industrielle Erbe haben für Deutschland und die Bundesrepublik aber mindestens die gleiche Bedeutung und müssen eine entsprechende Rolle im öffentlichen Bewusstsein spielen.

Der Bundesverband erhält seinen Sitz auf Zeche Zollern in Dortmund. Ist dies eine Anerkennung der vom Ruhrgebiet ausgehenden Bedeutung?
Große industriekulturelle Leistungen wurden in den vergangenen Jahren auch in den anderen Bundesländern erbracht, und wir pflegen enge Kooperationen dorthin. Die Strukturen sind im Ruhrgebiet aber zumindest älter und auch gefestigter. Für das im Aufbau befindliche Netzwerk ist das von besonderer Bedeutung. Die Route Industriekultur ist beim Regionalverband Ruhr zum Beispiel fest institutionalisiert. Sie ist Teil des RVR-Gesetzes und damit auch politisch verankert. Das ist nichts, was mal eben gestrichen wird, weil gerade Mittel fehlen. Die Route zählt zu den Pflichtaufgaben des Regionalverbandes Ruhr, und das ist ein unschätzbarer Vorteil.
Hinzu kommt tatsächlich: Die Industriekultur hat in den vergangenen Jahrzehnten eine enorme und erfolgreiche Rolle für den Strukturwandel gespielt und zeichnet sich weiterhin durch große Dynamik aus. Die Zeche Zollverein ist bereits seit 2001 UNESCO-Welterbe. Der Nordsternpark, wird 2027 Teil der Internationalen Gartenausstellung (IGA) sein, ebenso die Kokerei Hansa, die die Stiftung Industriedenkmalpflege beherbergt. Der Landschaftspark Duisburg-Nord ist seit letztem Jahr auch Gartendenkmal, und der Gasometer Oberhausen, die größte Ausstellungshalle Europas, stellt regelmäßig neue Besucherrekorde auf – um nur einige Beispiele zu nennen. Das alles wird natürlich wahrgenommen.

Die Route Industriekultur hat im vergangenen Jahr erst ihr 25-jähriges Jubiläum gefeiert. Was sind die Perspektiven?
Uns muss klar sein, dass wir nicht nur von Kulturinstitutionen reden. Die Industriekultur ist Identitätsanker für die Menschen der Region. Sie repräsentiert das Ruhrgebiet, ist imageprägend und lockt mittlerweile jede Menge Touristen an. Gerade erst wurde Essen von einem Booking-Portal zu einem der spannendsten Ziele des Jahres erklärt. Aber das ist nur ein Faktor. Wir reden auch von großen wirtschaftlichen Potenzialen.
Die Industriekultur ist weiterhin Impulsgeber für große Flächentransformationen. Sie zeigt, wie sich Städte verändern können und ist dahingehend Motor für die Stadtentwicklung. Wir haben nach wie vor postindustrielle Flächen, die vor einer Transformation stehen, zum Beispiel das Phönix-Gelände in Dortmund, die Zeche Westerholt oder das Kreativquartier in Hamm, das sich, ähnlich dem Dorstener Vorbild, gerade entwickelt. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Es geht um Wohn- und Gewerbeflächen, eine Energie- und Mobilitätwende und um die Frage: Wie kriegen wir Grünflächen in die Ballungsgebiete? Die Entwicklung industriekultureller Flächen spielt hierbei eine wichtige Rolle.
Die Orte des fossilen Zeitalters spielen darüber hinaus eine große Rolle in der Vermittlung, gerade mit Blick auf die Herausforderungen des Klimawandels. Die Ausstellung "Power2Change", die in der Henrichshütte in Hattingen entwickelt wurde, lotet beispielsweise die Potenziale der Energiewende aus und tourt mittlerweile durchs ganze Bundesgebiet. Und die IGA 2027 ist ja weit mehr als ein Gartenbauprojekt, sondern verbindet postindustrielle Orte mit einem breiten Engagement aus der Bevölkerung.
Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt: Industriekulturelle Orte sind heute auch sogenannte Dritte Orte, Orte der Partizipation. In Zeiten erstarkender politischer Ränder finden sich hier Räume des kulturellen Austauschs und der demokratischen Vermittlung, die weithin akzeptiert sind.