Courage – Lehmbruck und die Avantgarde
Anlässlich des 60. Geburtstags des Lehmbruck Museums zeigt das Haus noch bis zum 6. Oktober 2024 die Ausstellung „Courage“. Erstmals präsentiert die Schau das Werk Wilhelm Lehmbrucks im Dialog mit Pionierinnen und Pionieren der Moderne.
Mut ist die entscheidende Kompetenz des Menschen, wenn es darum geht, Krisen zu meistern, uns aus scheinbar aussichtslosen Situationen zu befreien und in die Zukunft zu denken. Ausgehend vom Werk Wilhelm Lehmbrucks zeigt die Ausstellung „Courage – Lehmbruck und die Avantgarde“, wie mutige Schritte und Entscheidungen in unsicheren Zeiten kreative Prozesse vorantreiben und Veränderungen bewirken können. Zum 60-jährigen Bestehen des Lehmbruck Museums stellt die aktuelle Schau Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck in den Dialog mit prominenten Werken von Meistern der Avantgarde, darunter August Rodin, Oskar Schlemmer, Käthe Kollwitz, Sophie Taeuber-Arp, Lyonel Feininger und Alexej von Jawlensky. Erstmals ist auch eine repräsentative Werkauswahl des großen österreichischen Ausnahmekünstlers Egon Schiele im unmittelbaren Zwiegespräch mit Skulpturen Lehmbrucks zu erleben. Die Ausstellung nimmt den Betrachter mit auf eine Reise in das frühe 20. Jahrhundert, in eine Zeit, die getragen ist von einer Aufbruchsstimmung und dem Mut, sich von überkommenen Konventionen zu lösen und frei zu denken. Es ist die Zeit, in der Wilhelm Lehmbruck seine wichtigsten Werke schafft.
Einzigartige Architektur
Mit seiner monumentalen gläsernen Außenhaut ist das Lehmbruck Museum selbst ein starkes Symbol für Mut, Transparenz und Offenheit. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschließt die Stadt Duisburg, auf die Zerstörungskraft des Krieges mit einem Haus aus Glas zu antworten — eine kühne Entscheidung. Die Fragilität der gläsernen Architektur ist in Wahrheit ein Zeichen von Stärke und dem festen Glauben an eine gute Zukunft. Sie steht für die Überzeugung, dass die Kunst ein Zeichen für den Neuanfang setzen kann. Diesen Gedanken nimmt die aktuelle Ausstellung auf und vereint hochkarätige Leihgaben aus renommierten Sammlungen und Museen in Duisburg. Mit Meisterwerken der Bildhauerkunst schärft die Schau unter dem Titel „Courage“ unser Bewusstsein für eine krisenhafte Zeit und zeigt inspirierende Wege, den Unsicherheiten und Herausforderungen zu begegnen. Sie stellt beispielhaft dar, dass es der Kunst mit Mut, Eigensinn und Freude an der Neuerfindung gelingen kann, unser Bewusstsein zu schärfen und uns zu neuen Schritten zu ermutigen. Schirmherrin der Ausstellung ist Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages.
Lehmbruck im Dialog
In fünf Sektionen führt die Ausstellung durch die entscheidenden Momente der Kunst der Moderne und öffnet gleichzeitig die Augen für die Eigenheiten des Werkes Lehmbrucks. Sie zeigt Bezüge zu den zarten Wachsskulpturen von Medardo Rosso (1858–1928), die nach der Auflösung des Materiellen streben, ebenso wie zu den antiheroischen Denkmälern Auguste Rodins (1840–1917). Es ist frappierend, dass Egon Schiele (1890–1918) zur gleichen Zeit zu erstaunlich ähnlichen Bildern des Menschen gekommen ist wie Lehmbruck. Ruhe und strenge Ordnung von Skulpturen wie der „Schreitenden“ (1913/14) finden ihre Entsprechung in den tektonischen Werken des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer (1888–1943). Schlemmer und Lehmbruck bringen Rationalität und Intuition miteinander in Einklang, um Gegensätze zu versöhnen. Die Erschütterungen des Ersten Weltkrieges bewegen sowohl Lehmbruck wie auch die große deutsche Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867–1945) dazu, eindringliche Formen für das menschliche Leid und den Schmerz zu finden. Wie eine Gegenwelt erscheint im Vergleich dazu die Dada-Bewegung in Zürich, der Stadt, in der Lehmbruck von 1916 bis 1919 lebt. Betrachten wir seine „Büste der Knienden“ (1911), die er direkt durch die empfindlichen Brustwarzen hindurch kappt, entdecken wir eine Nähe zu den provokanten Ansichten und innovativen Formen, mit denen die Dada-Bewegung die Kunst und die Gesellschaft erneuert hat.
Auflösung der festen Formen
In der Moderne ereignen sich viele unterschiedliche Bewegungen gleichzeitig. Das beherrschende Thema der Zeit ist Geschwindigkeit. Feste Formen lösen sich auf und unterschiedliche Perspektiven schieben sich ineinander. Beispielhaft wird dies in der Ausstellung dargestellt mit drei Schlüsselwerken von Alexander Archipenko, der mit Lehmbruck in seiner Pariser Zeit befreundet war. Ein weiteres ikonisches Werk in der Schau stammt von dem italienischen Futuristen Umberto Boccioni: Es ist eine weit ausschreitende Figur, die Dynamik und Geschwindigkeit verkörpert. Obwohl die Futuristen die tradierten Formen der Skulptur in Marmor und Bronze ablehnten, da diese nicht in der Lage sind, die moderne Welt und ihre Dynamik auszudrücken, versuchte Boccioni das Unmögliche möglich zu machen: Er bannte die verschiedenen Phasen der Bewegung einer Figur in einer einzigen Bronzeskulptur. Geschwindigkeit und die Bewegung im Raum sind Ausdruck einer „neuen Schönheit“, die zu einer radikalen Veränderung der gesamten Gesellschaft führen soll.
Zeichen gegen den Krieg
Käthe Kollwitz ist eine der renommiertesten Bildhauerinnen ihrer Zeit. Einige ihrer Schlüsselwerke sind eindringliche Antikriegs-Monumente. Ein Gegenüber des „Sitzenden Jünglings“ (1916/1917) von Lehmbruck und der „Pietà (Mutter mit totem Sohn)“ von Kollwitz zeigt ein ganz bedrückendes Bild des Menschen der Moderne: Geprägt von Krieg und politischen Unruhen ist die Gesellschaft auf der Suche nach Frieden und sucht gleichzeitig auch nach einer Möglichkeit, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Käthe Kollwitz wurde im Laufe ihres Lebens zu einer aktiven Pazifistin und Aktivistin und setzte durch ihre Werke immer wieder wirksame Zeichen gegen den Krieg. Ihr Werk ist ebenso wie das Lehmbrucks von einer Aktualität, die die Zeit überdauert.
Begleitend zur Ausstellung lädt das Lehmbruck Museum zu einer Reihe von Veranstaltungen ein.