Mehr Wechselspiele wagen: Jan St. Werner ist Folkwangs neuer Pop-Professor

Zehn Jahre alt ist das Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste jetzt und hat gerade Jan St. Werner zum neuen künstlerischen Leiter berufen. Ein Gespräch mit dem „Mouse on Mars“-Musiker und Klangkünstler über Genregrenzen und den Charme des Ruhrgebiets.

Herr Werner, einem breiteren Musikpublikum sind Sie als Mitglied des Elektronik-Duos Mouse on Mars bekannt. Sie arbeiten aber auch international erfolgreich als Klangkünstler, haben beispielsweise am MIT Studierende zur Arbeit mit beweglichen Lautsprechern angeregt und im Rahmen der Biennale in Venedig mit weitreichenden Klängen die Verortung im akustischen Raum auf die Probe gestellt. Wie bringe ich solche experimentelle Klang-Forschungen mit einer Pop-Professur zusammen?

Dafür bin ich da: um alles einmal durcheinander zu wirbeln. Ich habe ja noch mehr solcher Projekte gemacht, die eher als Ausstellungen gedacht sind, wo also gar nichts mehr performiert wird. Es gab Zwischenformate, die sich nicht zwangsläufig durch einen Genrebegriff festlegen lassen. Das interessiert mich, und Pop ist dazu fast schon das Gegenteil. Gleichzeitig hat Pop diese kleine Öffnung, eine Art Zukunftsaffinität, eine Vorstellung von Kultur, von der man noch nicht weiß, wie sie zustande kommt, wie sie sich geriert, wie sie sich benimmt. Diese kleine Öffnung möchte ich erweitern.

Aber viele wichtiger ist es, Möglichkeiten für junge Menschen, für Studierende, zu schaffen, sich mit der Gegenwart zu beschäftigen, in die Gegenwart hinein wirken zu können, Verantwortung zu übernehmen für das, was gesellschaftlich gerade stattfindet, und wie man über Kunst und Kultur, Musik und Klang, auch Formen, die noch keinen Namen haben, mitgestalten kann. Das ist mein Verständnis von dem Auftrag, den ich jetzt hier habe.

 

Das klingt nach einem sehr erweiterten Pop-Begriff. Pop erscheint doch heute eigentlich eher als das Gegenteil von Avantgarde.

Andy Warhol war Avantgarde, und das wäre wahrscheinlich auch der größte Künstler des 20. Jahrhunderts, den man mit dem Pop-Begriff assoziiert. Man könnte auch sagen, Marcel Duchamps wäre Pop. Picasso hat sich in seiner Hochphase alle drei Wochen eine neue Kunstrichtung ausgedacht, nur um die anderen vor sich herzutreiben. Das ist Pop als Strategie. So gesehen ist dieses Pop-Ding eigentlich in vielen anderen Kulturphänomenen vorhanden und auch gar nicht so klar definiert. Man packt eigentlich immer etwas in diese Pop-Schublade, wenn man nicht weiß, wo es sonst hingehört.

 

Sie möchten den Studierenden Möglichkeiten geben. Worauf lassen die sich bei Ihnen ein?

Wir sind am Institut gerade in einer Übergangsphase. Neue Lehrende werden kommen, und wir werden uns einem anderen Verständnis von Klang und Raum zuwenden und sicher auch einen anderen Zugang zu Technologie entwickeln. Gerade angesagte Sachen wie KI werden wichtiger werden.

Ich selbst lerne gerade erst, wie die Modulstruktur hier am Institut funktioniert. Wir müssen die Kreditpoints international vergleichbar gestalten und auf der anderen Seite so offen wie möglich halten. Ich mag zum Beispiel kollektive Praktiken, wie wir sie in Nürnberg an der Akademie hatten. Dort habe ich die Dynamische Akustische Forschung mit ins Leben gerufen. Dort entwickelte sich sehr schnell eine Klasse mit einer ganz eigenen Dynamik. Ich habe von den Studierenden dabei eine ganze Menge gelernt, und ich würde mir wünschen, wenn ich davon sehr viel hierherholen kann.

Wie sieht das konkret aus?

Die Studierenden haben sich bisher mit Projekten beworben, das würde ich ganz gerne ändern. Man muss dann nicht mit einem Projekt hierhinkommen und dann sehen, dass man es bestmöglich umsetzt. Das wäre eine Art Coaching, aber das möchte ich nicht so gerne

Wir werden gemeinsam experimentieren, auch gemeinsam aufnehmen. Aber ich kann nur den Weg ebnen, indem ich sage: Das ist möglich, und ihr könnt etwas ausprobieren. Da kommt manchmal Musik bei raus, manchmal kommt auch was ganz anderes dabei raus. Das ist vielleicht Kunst, manchmal kommt was dabei raus, das ist eher kollektiv, vielleicht sogar was Folkloristisches, was sehr Technisches, oder es ist so abstrakt, dass man vielleicht gar keinen Begriff mehr dafür haben kann.

Ich hatte jetzt erst ein Radio-Interview, in dem es darum ging, dass es ganz viele Absolvent*innen von Akademien gibt, die große Pop-Stars wurden. Dann stellte sich aber ziemlich schnell heraus: Die haben alle Kunst studiert, nicht Musik. Es ist interessant, das wesentliche Impulse auch für innovative Formate nicht zwangsläufig aus der Musik kamen. Damit will ich die Musik jetzt nicht beiseiteschieben, denn aus der Musik können wiederum interessante Impulse für die Kunst kommen. Das war bisher immer so, und ich möchte diese Wechselspiele mehr hervorheben und Kunst und Sound zusammendenken.

 

Gab es bisher schon eine Beziehung zum Ruhrgebiet?

Wir haben hier oft mit Mouse on Mars gespielt, daher kenne ich es auch ganz gut. Total wichtig ist die gesamte industrielle und postindustrielle Landschaft und Kultur. Es gibt viel Spannendes, was hier irgendwie, wie soll ich sagen, entsteht, und was sich gar nicht zwangsläufig ver-internationalisieren muss. Das lebt hier, ist offen, dass man es findet, aber das sagt nicht: Wir wollen hier raus. Das fühlt sich an wie so ein „Planet Ruhrgebiet“.

Folkwang ist mir auch schon länger nahe. Ich fand das dortige ICEM-Institut supertoll. Das ist ja eines der wenigen Institute, an denen man sich mit elektronischer, elektroakustischer Komposition beschäftigen kann.
Urbane Künste Ruhr: Das ist ja auch so ein Wahnsinns-Projekt. In Deutschland findest du so etwas nicht nochmal.

Und dann Peter Gorschlüter, der Leiter des Folkwang-Museums. Mit dem haben wir in der Kunsthalle Düsseldorf schon zusammengearbeitet, 2004. Da haben wir die ganze Kunsthalle mit anderen Künstlerinnen und Künstlern bespielt, mit Leuten, die mit Musik auch eigentlich nichts zu tun hatten. Das hat vielleicht schon vorweggenommen, was wir jetzt hier anzetteln wollen.  

Ich würde sagen: Ich könnte schon gut hierher passen. Aber wir müssen vielleicht in einem Jahr nochmal reden.

 

Ein Überblick über die zahlreichen künstlerischen Projekte von Jan St. Werner findet sich unter Fiepblatter | Jan St. Werner

Das Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste nahm vor zehn Jahren zum Wintersemester 2014/15 den Lehrbetrieb auf und versteht sich selbst als innovativer Lern- und Denkort, an dem Pop-Musik als dynamische Form von Gegenwartskunst stetig weiterentwickelt wird. Von 2014 bis 2019 war Musikproduzent, DJ und Autor Hans Nieswandt der erste Künstlerische Geschäftsführer des Folkwang Institut für Pop-Musik. Bis zur Besetzung der Professur hatte Çi?dem Göymen die kommissarische Leitung des Instituts inne.