"Zweifel und Zusammenhalt" bei den Ruhrfestspielen
Am 1. Mai starten in Recklinghausen traditionell die Ruhrfestspiele. Das Familienfest auf dem Grünen Hügel markiert den Auftakt für ein Festival voller "Zweifel und Zusammenhalt". Olaf Kröck über Intentionen, Selbstverständnis und Thema der Festspiele für alle.
"Zweifel und Zusammenhalt" lautet das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele. Wo zweifeln Sie, Herr Kröck? Und wo finden Sie Zusammenhalt?
Für mich gibt es im Augenblick viele Gründe zu zweifeln. Am meisten zweifle ich an unserer Fähigkeit oder Bereitschaft zum Zusammenhalt. Wie kann es sein, dass angesichts der vielen Herausforderungen weltweit, Egoismus und Empathielosigkeit trotz aller Krisen so dominieren? Die Bereitschaft zum Zusammenhalt sehe ich aber immer noch bei den meisten Menschen, denen ich begegne. Die im Ruhrgebiet viel beschworene Solidarität ist noch da. Wir müssen uns das unbedingt bewahren.
Zusammenhalt ist ja auch eines der Gründungsmotive der Ruhrfestspiele, die mit dem Gedanken "Kultur für alle" mittlerweile sogar zum immateriellen Kulturerbe NRWs gehören. Wie hat sich die Definition des Begriffs im Laufe der Geschichte des Festivals verändert? Und muss er neu gedacht werden?
Zum Beginn der Festspiele war oft von "Arbeiterfestspielen" die Rede. Damit waren die Besucherinnen und Besucher gemeint: Bergleute, Industriearbeiter, Menschen ohne akademische Bildung. Die Ruhrfestspiele galten als ein Ort, an dem genau diese Menschen mit Theater und Kunst in Berührung kamen, ein demokratischer Kulturraum, der gesellschaftliche Schranken überwinden wollte. Das war sicher die prägende Idee der Recklinghäuser Festspiele, aber auch Teil einer Erzählung, die mit einem gewissen romantisierenden Blick von außen verbunden war.
Heute ist unsere Gesellschaft vielschichtiger, und das klassische Bild des "Arbeiters" von vor 70 Jahren existiert so nicht mehr. Trotzdem gibt es weiterhin viele Menschen, für die Kultur kein selbstverständlicher Teil ihres Alltags ist, der Zugang zu Kultur etwas Besonderes ist oder die sich von kulturellen Angeboten gar nicht erst angesprochen fühlen. Deshalb halten wir an der Idee einer "Kultur für alle" fest. Die Ruhrfestspiele sollen ein offenes, vielfältiges Festival sein, das möglichst viele Menschen einlädt, daran teilzuhaben.

Welche Produktion füllt das Motto Ihrer Ansicht nach auf besondere Weise mit Leben? Oder welche bietet einen zentralen Zugang?
Tatsächlich entsteht das Motto der Ruhrfestspiele immer in Reaktion auf die Produktionen, die wir ausgewählt haben. Insofern lässt es sich nicht auf eine einzelne Inszenierung zuspitzen. Vielmehr spiegeln viele der Produktionen auf ganz unterschiedliche Weise das Motto wider. Jede von ihnen wirft ihren eigenen, spezifischen Blick darauf. Deshalb möchte ich das Publikum ermutigen, sich selbst ein Bild zu machen: Inwieweit resoniert unser diesjähriges Motto mit dem, was man bei den Ruhrfestspielen erlebt?
Die Ruhrfestspiele 2025
Mehr als 620 Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt füllen das Thema der diesjährigen Ruhrfestspiele Recklinghausen (1. Mai bis 8. Juni) mit Leben. 90 Produktionen mit rund 220 Veranstaltungen, darunter u. a. zwei Uraufführungen und acht Deutschlandpremieren, bringt Intendant Olaf Kröck ins Ruhrgebiet. Insgesamt sechs Produktionen sind koproduziert.
Traditionell finden sich viele bekannte Namen im Programm, darunter z. B. Lina Beckmann, Ulrich Matthes, Wolfram Koch, Peter Lohmeyer und Eva Mattes. Das Programm prägt eine große Bandbreite vielschichtiger und hochkarätiger Produktionen aus den Genres Schauspiel und Tanz, Literatur, Neuer Zirkus, Junges Theater, Musik, Kabarett und Dialog.
Das Programm steht hier.
Olaf Kröck
Olaf Kröck leitet das renommierte Theaterfestival seit dem 1. August 2018. Zuvor war er u. a. als Dramaturg am Luzerner Theater, am Schauspiel Essen und am Schauspielhaus Bochum tätig. Gemeinsam mit der Dortmunder Schauspiel-Intendantin Julia Wissert bildet er das Sprecherduo des Netzwerks RuhrBühnen. Im November hatte der Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele Recklinghausen beschlossen, Kröcks Vertrag bis zum 31. Juli 2030 zu verlängern.