Wo sich Gründungsgeist und Visionen treffen: Neue Intendanz am Schlosstheater Moers

Das Schlosstheater Moers ruft die “Radikale Zeitgenossenschaft” aus. Zum Start der kommenden Spielzeit steht ein Generationenwechsel in der Leitung des Theaters an.

Es ist ein ereignisreiches Jahr für das Haus: Das mehrfach prämierte und für seine engagierten Produktionen bekannte Stadttheater feiert 2025 sein 50-jähriges Bestehen – mit allem, was dazugehört: Rückblicken, Empfängen, prominenten Gästen und besonderen Inszenierungen. 

Gleichzeitig bricht eine neue Zeitrechnung an: die Nach-Greb-Ära. Intendant Ulrich Greb, der in den vergangenen 22 Jahren das Profil des Schlosstheaters prägte, nimmt seinen Hut. Die Nachfolge tritt ein junges Duo an: Jakob Arnold und Daniel Kunze. Ihre erste Spielzeit stellen sie unter das Motto “Radikale Zeitgenossenschaft”. Ein Gespräch mit dem neuen Intendanten-Tandem über Ziele, Visionen und den Gründungsgeist des kleinsten Stadttheaters in NRW.

Das Schlosstheater Moers ist in der Region durchaus eine Hausnummer und hat sich ein großes Renommee erarbeitet – aber überregional ist die Bekanntheit sicherlich überschaubar. Wie würden Sie ihre neue Wirkungsstätte alten Schulfreunden in ihren Heimatorten Bamberg und Graz vorstellen?

Kunze: Gute Frage! Ich würde ihnen zuerst einmal sagen, dass es tatsächlich ein Theater in einem Schloss ist. Und dass es aus einer sehr breit angelegten Initiative aus den 1970ern entstand − was ich tatsächlich für einen sehr besonderen Gründungsgeist halte, den man heute immer noch spürt. Man merkt, dass sich die Stadt das Theater erst in jüngeren Jahren selbst erkämpft hat. Das finde ich total wertvoll. Und diesen Geist wollen wir auch unbedingt erhalten. Wir müssen uns immer wieder – wie alle anderen Bereiche in Gesellschaften auch – neu erfinden und neu wissen, warum wir das hier machen. Das ist unser Auftrag, immer vor Augen zu haben: Für wen tun wir das? Und warum tun wir das? Deshalb gibt es uns.

Arnold: Was soll ich noch sagen? Punkt!

 

Befreundet sind Sie schon seit dem gemeinsamen Regie-Studium in Bochum, die Intendanz in Moers ist aber die erste große Zusammenarbeit. Ist die Freundschaft Grundvoraussetzung für die gemeinsame Leitung des Theaters?

Kunze: Wir haben uns ein paar Jahre nach dem Studium zusammengefunden in dieser Sehnsucht eigentlich, unser Theater zu schaffen und ein bisschen mehr spüren zu wollen: Wofür machen wir das eigentlich? Der Regieberuf − so toll er ist − ist auch ein sehr nomadischer. Man reist nach der Premiere halt wieder zurück nach Hause und hat dann gar nicht mehr so einen Bezug dazu, was man da geschaffen hat. Oder dazu, wie das mit der Stadt räsoniert. Und diese Art von Sehnsucht nach einer längerfristigen Arbeit für eine Stadt, die hat uns über die Freundschaft hinaus zusammengebracht. Und sie hat uns dazu bewogen, dass wir uns hier bewerben. Und so sind wir einen Steinwurf vom Folkwang in Moers gelandet, dass wir noch sehr gut kannten von der Uni. Denn das Theater hier ist natürlich ein Begriff.

Arnold: Natürlich haben wir uns an der Uni in gewisser Hinsicht schon im professionellen Kontext kennengelernt. Auch danach haben wir uns gegenseitig arbeiten gesehen und den Austausch schätzen gelernt. Und dieses gemeinsame Aufspüren von Fehlstellungen hat natürlich auch Einfluss darauf gehabt, wie wir uns die Leitung eines Stadttheaters vorstellen. Oder auch an welchen Punkten wir Dinge anders machen würden als das, was wir ganz konkret erleben an den Häusern. Wir haben zum Beispiel erlebt, dass die Ensembles häufig ziemlich verheizt werden. Es wird sehr viel produziert, und das kreative Potenzial, das sozusagen genuin aus dem Ensemble kommt, das wird häufig nicht genügend wertgeschätzt. Da haben wir früh gedacht: Eigentlich müsste das anders laufen. Man müsste mehr Raum geben und nicht nur Programmierung von oben, gewissermaßen.

Gilt das auch für das Schlosstheater? Wird dieser Ansatz hier umgesetzt?

Kunze: Diese Idee, das Ensemble mehr einzubeziehen, setzen wir hier um. “Ensemble Total” nennen wir die Reihe, in der Produktionen aus dem Team heraus entstehen können, in unterschiedlichen Konstellationen. Also: Ein Schauspieler oder eine Schauspielerin führt Regie und inszeniert den Kollegen und die Kollegin, oder die machen das gemeinsam. Sie können sich zusammentun und uns Themen vorschlagen, und wir besprechen das gemeinsam. Wir wollen eben unbedingt, dass das auch Themen sind, die den Ensembles unter den Nägeln brennen, für die sie stehen und auf die sie Lust haben – denn das sieht man nachher auf der Bühne. Da wird es drei Produktionen geben, die dann auch im Spielplan vorkommen. Und das ist ein Geist, der trifft hier eben nicht auf komplettes Unverständnis. Es wurden hier auch immer viele Dinge realisiert. Nehmen wir Matthias Hesse, der ja auch weiter in unserem Ensemble bleiben wird: Er hat 24-Stunden-Lesungen gemacht oder musikalische Abende – so etwas wollen wir weiter institutionalisieren und den Ideen Raum geben. Das soll wirklich jedes Jahr stattfinden – und nicht nur, wenn gerade Platz im Spielplan ist.

Arnold: Danach haben wir auch das künftige Ensemble ausgewählt. Wir haben schon geschaut: Sind das Leute, die diesen Geist künstlerisch mitbringen und diese Eigenverantwortung greifen können. Ich glaube, diese Eigenverantwortung ist in so einem kleinen Stadttheater total wichtig.

Da dürften Sie am Moerser Theater ja offene Türen einlaufen…

Kunze: Wir sind sehr dankbar, dass wir hier auf ein bestelltes kreatives Feld stoßen. Wir haben auch ein unfassbares Glück mit Ulrich Greb als Vorgänger. Die Zusammenarbeit, die Gespräche – wir profitieren da sehr von. Das kann man gar nicht genug schätzen. Und es ist ein gesundes Haus, auch eines, das immer Visionen hatte. Davon kann man wirklich zehren. Auch nach 22 Jahren spürt man da kein “0815-Abarbeiten” oder so, sondern das ist ein ganz tolles Team. Dass man Spieler und Spielerinnen hat, die auch über ein Stück und über eine Figur hinausdenken, das ist schon etwas, das hier immer schon gepflegt worden ist.

Gibt es etwas, das Sie dem scheidenden Intendanten Ulrich Greb versprechen möchten?

Arnold: Wir können ihm natürlich nicht versprechen, dass uns etwas Bestimmtes gelingt. Das kann man ja nie im Vorfeld. Aber versprechen können wir schon, dass wir den Geist insofern weiterführen werden, dass wir mit einer starken Mission hier antreten. Mit unserem Leitmotiv “Radikale Zeitgenossenschaft” versuchen wir den Fokus auf einen sehr heutigen Spielplan mit sehr heutigen Themen zu legen und uns nicht auf etwas Pseudobewährtes zu verlassen. Genau das wäre gegen den Geist des Theaters. Ob es gelingt, wird sich zeigen.

Über die neuen Intendanten:

Jakob Arnold (geb. 1988) kommt aus Bamberg in Oberfranken. Er studierte Philosophie, Altgriechisch und Theaterwissenschaft an der LMU München sowie Regie an der Folkwang Universität der Künste in Essen und Bochum. Seit 2018 inszeniert er regelmäßig an Theatern im deutschsprachigen Raum – darunter in Bochum, Aachen, Lüneburg, Detmold, Bremerhaven, Rostock – sowie an den Théâtres de la Ville de Luxembourg.

Daniel Kunze (geb. 1988) wurde im österreichischen Linz geboren. Er studierte Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien und Regie an der Folkwang Universität der Künste in Essen und Bochum. Seit 2017 inszeniert er an verschiedenen Theatern in Deutschland und in der Schweiz, wie dem Staatstheater Wiesbaden, dem ETA Hoffmann Theater Bamberg, den Bühnen Bern, dem Staatstheater Saarbrücken oder dem Theater Lüneburg.