Stadtbeschreiberin mit Pinsel und Tusche: Ika Sperling

Bleistift, Pinsel, Tusche, Graphit: Das sind die Utensilien, mit denen die amtierende Dortmunder "Stadtbeschreiberin" Ika Sperling menschliche Untiefen auslotet. In den kommenden Wochen nimmt sie auch Jugendliche mit auf eine Erkundungstour der grafischen Art.

 

Ihr Debüt hatte es in sich: “Der große Reset” beleuchtet die Geschichte des Vaters, der immer weiter ins Internet mit seinen Verschwörungstheorien abtaucht und dabei der Familie entgleitet. In den pastelligen, mit viel Wasserfarben gezeichneten Bildern erscheint er als Blase – eine Analogie, die zahlreiche Jurys überzeugt hat. Ika Sperling erhielt unter anderem den Hamburger Literaturpreis in der Kategorie Comic, ihr Erstlingswerk war außerdem als bestes deutschsprachiges Debüt für den Max-und Moritz-Preis nominiert. 

Comics, die in Deutschland länger als in anderen Ländern nicht als ernstzunehmende Kunst anerkannt worden sind, erhalten heute auch hier zunehmend die Beachtung, die ihre seit jeher breite Themenvielfalt verdient hat. Und es sei ein Glück für sie, weiß Sperling, dass gerade jetzt viele Veranstalter sagen: "Comics – ach ja, das hatten wir noch nicht" und sich so neue Türen öffnen. 

Und trotzdem: Mit Dortmund klappte es nicht sofort. Die erste Bewerbung zur Stadtbeschreiberin wurde abgelehnt. Ihre Lesung im Dortmunder schauraum: comic + cartoon aber überzeugte auch die dort anwesenden Jury-Mitglieder, die ihr rieten, es noch einmal zu versuchen. Diesmal klappte es, und Ika Sperling unterbrach ihren Studienabschluss in Hamburg für sechs Monate in der Ruhrstadt.

Der Schauraum sei dabei ein guter Anknüpfungspunkt, der auch über die Stadtgrenzen hinaus in der Szene bekannt sei. Außerdem hatte sie bereits eine Idee im Gepäck, die im Ruhrgebiet reichlich Nährboden findet. „Es geht um unkuratierte Jugendräume, Orte also, die eigentlich nicht für Jugendliche gedacht sind, wo man aber trotzdem abhängt und erste Erfahrungen fürs Leben macht“, sagt Ika Sperling. Sie selbst habe einen Teil ihrer Jugend in solchen Räumen verbracht, im Kulturpark am Schlachthof Wiesbaden, und erinnert sich selbst mit großer Ambivalenz an diese Zeit. „Auch die Leute, die damals am gleichen Ort waren, haben heute alle unterschiedliche Meinungen dazu. Manche erinnern sich an eine gute Zeit, in der sie die ersten Freunde und ein soziales Umfeld gefunden haben. Andere sagen: Ich habe mir da meine Jugend versoffen und mit Anfang Dreißig eine Leberzirrhose bekommen“.

Nach Dortmund passe das nicht zuletzt, weil das Stadtbeschreiber-Stipendium immer auch an das Thema neue Urbanität geknüpft ist, sagt Sperling – mit allen Dissonanzen. Nach ersten Kontakten auf verschiedenen Stadtfesten will sich Sperling nun mit kreativen Angeboten thematisch stärker in die Stadtgesellschaft einbringen.

 

Jugendliche zeichnen erste Zines

Zu einem Comic-Workshop in den Ferien lädt die Stadtbeschreiberin vom 21. bis zum 25. Juli ins Fritz-Henßler-Haus in der Nordstadt. Der Workshop startet mit einfachen und schnellen Übungen und kurzen Comics über den Alltag, Interessen und das Leben in Dortmund. Zum Schluss drucken die Teilnehmer eigene kleine Magazine, kurz: "Zines". Im September wird es eine Ausstellung der entstandenen Werke geben. Das Ganze ist kostenlos, geeignet für alle zwischen 14 und 21 Jahren und "genau das Richtige für Jugendliche, deren Eltern vielleicht nicht in die Ferien fahren können", wie sie sagt. 

Am 4. September ist sie ab 18 Uhr beim nächsten Comic-Streit im Schauraum dabei. Für ihre Comic-Kolleginnen und -Kollegen hat sie regelmäßige Treffen mit dem Schauraum geplant. Die “Sprechblase” ist eine Comic-Feedbackrunde für Zeichnende aus dem Ruhrgebiet, die sich hier vernetzen können – egal, ob Anfänger, Studierende oder Profis.

Am 23. September lesen Daniel Herrmann und Ika Sperling ab 19.30 Uhr im Literaturhaus gemeinsam aus ihren Büchern “Pinke Monster” über einen schwulen Jugendlichen, der mitverantwortlich an der Krankheit seines Vaters gemacht wird, und eben aus “Der Große Reset”. Beide Bände beschäftigen sich in Bildern mit Verschwörungserzählungen und gefährlicher Esoterik. Nach der Lesung gibt es eine Diskussion mit Andrew Schäfer, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Rheinischen Kirche, um die Parallelen der beiden Bücher und um Möglichkeiten für betroffene Angehörige, Hilfe zu finden, aufzuzeigen.

Schließlich lädt Ika Sperling zu einer Lesung am 27. Oktober ins Literaturhaus ein. Die Zeichnerin und Illustratorin Lena Winkel stellt ihren Theorie-Comic “Tiere richtig zeichnen” vor, der sich mit der vielfältigen Vermenschlichung von Tieren auseinandersetzt und diskutiert, welches Potenzial im Medium Illustration steckt, um zur Kultivierung einer tiersensiblen Medienkompetenz beizutragen.