Die hohe Kunst der Reproduktion

Ob Schülerzeitung, Musik-Fanzine oder Uni-Skripte: Jahrzehntelang ging nichts ohne den Kopierer. Copy ist – und das nicht nur technisch – eine Kunst für sich. Und seit mehr als drei Jahrzehnten hat sie bereits ein Zuhause im Ruhrgebiet: im Museum für Fotokopie (M.F.F.) in Mülheim an der Ruhr. Nach längerer Umbauphase ist der Hort der Reproduktion dort seit der Neueröffnung Anfang Mai in neuer Gestalt zu erleben.

Die Ankündigung der Wiedereröffnung irritiert allerdings bewusst. "Wir schließen" heißt es da im Stile wechselnd wieder auferstehender Bettenhäuser. Das Museum für Fotokopie M.F.F. übernahm damit das Werbeprinzip der künstlichen Verknappung und feiert in Anlehnung daran unter dem gleichen Titel parallel zum Kunstevent „Ruhr Ding: Schlaf“ seine Wiedereröffnung.

Gegründet wurde das M.F.F. bereits 1985 von dem Künstler Klaus Urbons, der seitdem eine international bekannte Sammlung zur Geschichte der Fotokopie mit Werken der Copy Art und zahlreichen Fotokopiergeräten zusammengetragen hat. Angefangen hat alles mit einem testweise reproduzierten Ohr auf der Glasplatte. Von da an war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur ersten Raubkopie von Da Vincis gezeichneter Studie über die Hand – und damit war sein künstlerisches Lebensthema gefunden. „Der Kopierer“, sagt Klaus Urbons, „war damals nicht weniger als die am schnellsten entwickelnde Kamera mit dem größten Format“. Und so wie der damalige Kunststudent und Mitarbeiter einer Düsseldorfer Werbeagentur Ende der 70er-Jahre von seinen ersten Kopien begeistert war, so machten sich zu jener Zeit weltweit Künstler auf den Weg, die „außerplanmäßigen“ Möglichkeiten der Repliken zu erkunden.

Wer jemals ein Selbstporträt in staubigem schwarz-weiß erstellte, weiß: Glückliche Unfälle scheinen seit jeher Teil jener Technik zu sein, die kurz darauf die Welt überrollte. Das sonore Geräusch des Kopierers gehört zum Sound der 80er- und 90er-Jahre Jahre. Überall wurden Duplikate hergestellt, und nicht nur für Studierende war der Kopierer ein treuer Begleiter auf dem Weg durch die Semester. Das Medium sei die Botschaft, hatte der Kommunikationsforscher Marshall McLuhan kurz zuvor festgestellt. Die Botschaft des Kopierers war: Jeder kann jetzt sein Herausgeber sein. Vereins-Postillen, Rock-Fanzines und Schülerzeitungen: Sie alle waren durchtränkt mit Toner und umwölkt vom typischen Geruch nach Ammoniak.

Zu jener Zeit begann Urbons sich alter Maschinen anzunehmen, die aus seiner Sicht zu schade zum Verschrotten waren. Mit 22 Exemplaren eröffnete er sein erstes Museum für Fotokopie in Mülheim, wo er in den 80er Jahren Teil einer lebhaften Künstlerszene war. Er begann Kunstwerke zu sammeln, Publikationen genauso wie Collagen oder kopierte Zitate, die als Mail Art verschickt wurden. Und während die Technik anfangs noch ein Buch mit sieben Siegeln war, stieg er immer tiefer ein in die Unterschiede zwischen Blitzkopie und Xerografie. Mittlerweile hat er umfassende Werke über die Erfinder der unterschiedlichen Verfahren und die Bedeutung der Duplikate für unsere Arbeitswelt verfasst. Sein Buch über Copy Art war das erste deutschsprachige Werk zu diesem Thema.

Das Museum ist mittlerweile Teil des soziokulturellen Kunsthauses „Makroscope“, einer pulsierenden Spielwiese für Musik, Bild und Diskurs, dem historischen Mülheimer Rathaus direkt gegenüber. Urbons selbst war als kreativer Kopf maßgeblich am Aufbau des Zentrums beteiligt. Auf mehrere Meter hohen Gestellen lagern im hinteren Raum ausgewählte Meilensteine der Reproduktionstechnik bis unter die Stuckdecke. Weitere Exemplare sind in Berlin untergebracht. „Wir sind schon wieder am Limit“, sagt Urbons, denn wer auch immer im Internet sich mit Fotokopie beschäftigt, landet fast zwangsläufig bei ihm. Seine Sammlung ist international anerkannt, für die Inventarisierung der über tausend Werke gab es eine Förderung vom Landschaftsverband Rheinland, die diese Bedeutung widerspiegelt. 

 

 

Die aktuelle Ausstellung „Wir schließen“, kuratiert von Urbons und Therese Schuleit, zeigt eine Auswahl von im Kopierverfahren bedruckten Outfits für die Nacht und bietet aktuell eine gute Gelegenheit, das kleine Museum neu zu entdecken. Die Öffnungszeiten sind erweitert, und während der Laufzeit des „Ruhr Ding: Schlaf“ von Urbane Künste Ruhr findet hier zusätzlich ein thematisch zugeschnittenes Veranstaltungsprogramm statt, der Barbereich des Hauses lädt zum Verweilen bei Kaffee, Kuchen oder Drinks ein, und das Kollektiv The Wig zeigt eine kontextspezifisch entstandene Arbeit, die sich zum Teil auf das Archiv des Museums für Fotokopie bezieht. In dieser Zeit, noch bis zum 25. Juni, ist das Museum länger als üblich geöffnet, nämlich jeweils mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.

Auch danach will das Museum für Fotokopie allerdings nicht nur eine Sammlung von Kunst und Maschinen sein, sondern versteht sich als Plattform, auf der Theorie und Praxis, Kunstvermittlung und lustvolles Experimentieren zueinander finden. Beispiele für den kreativen Austausch finden sich auf der Website des Museums für Fotokopie zuhauf. Sehens- und hörenswert: das M.F.F.-Radio, verschrobene Klang- und Bildminiaturen, die sich spielerisch mit dem Sound und der Ästhetik der Maschinen auseinandersetzen. 

Und, natürlich, eine Kopier-Taste hat die Website auch.