Von Codes und Klängen: Blaues Rauschen 2024

Es rauscht wieder im Ruhrgebiet, diesmal auch in Witten. Zum sechsten Mal, vom 24. Mai bis zum 8. Juni, blättert das Festival „Blaues Rauschen“ durch die eher experimentellen Seiten der Musik – unakademisch, verspielt und meistens mit einem Hauch Laborcharakter, wie Festivalleiter Karl-Heinz Blomann verspricht.

Sechs Städte, zwei Wochen Programm voller Experimente und jede Menge technisches Instrumentarium: Wer das Ungewöhnliche sucht, wird beim Blauen Rauschen glücklich. Wie das klingt? „Wir haben von Überbegriffen diesmal abgesehen, und ich weiß auch nicht mehr, ob die Leute das interessiert“, sagt Karl-Heinz Blomann, der künstlerische Kopf hinter dem Festival.

Irgendwie fällt aber noch alles unter den großen Begriff „elektronische Musik“, vieles davon hybrid analog/digital, manches spielt mit dem Raum, möchte – ganz immersiv – die Zuhörenden verschmelzen lassen; und auch die künstliche Intelligenz trägt ihr Scherflein bei. Einig ist aber fast allen Performances die intime Nähe. Fast immer sitzt man sich in den kleinen Orten beinahe gegenseitig auf dem Schoß und bekommt so nicht nur akustisch hautnah mit, was da gerade zwischen Mensch und Reglerknopf vor sich geht.

Es geht los in Essen-Rüttenscheid im Szene 10 im Girardet-Haus, einem der drei neuen Festivalorte. Die in Krakau lebende Musikerin Martyna Basta mischt Live-Elektronik mit modulierter Stimme, Gitarre und Field Recording zu Ambientkompositionen. Lau Nau aus Finnland knüpft klangästhetisch daran an und verwebt schimmernde Synthesizerklänge mit Sounds der Unterwasserwelt. Das Live-Coding-Kollektiv „Codie“ verbindet schließlich frei-improvisierte Algorithmen und Codes zu einer sich ständig weiterentwickelnden Abfolge von Bildern und Tönen.

Im Rabbit Hole Theater und der Neuen Musik Zentrale werden am 25. Mai das Zusammenspiel von Cello, Violine und Elektronik ausgekundschaftet, und das Gastspiel in den Herner Flottmann-Hallen verspricht am 28. Mai eine Reise durch transzendentale Gesangsinterpretationen und Klangtexturen, angeführt von der gebürtigen Ukrainerin Katarina Gryvul, die den Einmarsch Russlands in die Ukraine auf sehr persönliche Weise verarbeitet.

Im Rahmen der ExtraSchicht wird am 1. Juni der Tresor.west in Dortmund bespielt. Fausto Mercier mischt „dekonstruierte Clubmusik“ mit "Soundscapes der Natur". Jia Liu ist eine Musikerin aus dem Bereich der algorithmischen Komposition, die In Ihrer Live-Coding Performance „Vinculum" unter anderem mit Sinus-Oszillatoren und unterschiedlichen Arten der Klangsynthese agiert. Markus Mehr, Sound-Künstler und Field Recordist, erwartet uns mit seiner Live-Performance „TRANS“ und spielt mit der Idee von Bewegung, Veränderung und Überwindung. Nach den Performances geht es im Tresor.West über in die lange Clubnacht.

Grundsätzlich wird es am im Bochumer Quartiershalle. Der Medienwissenschaftler Mace Ojala von der Ruhr-Universität Bochum erläutert, warum wir unsere Computer für spekulatives und kritisches Zuhören nutzen sollten und gibt dazu auch praktische Tipps. Ein weiterer Aspekt des Zuhörens wird von der Künstlerin Marja Ahti vorgestellt. Sie erörtert ihre kompositorische Praxis als einen Weg, die Welt zu erforschen und verfolgt ihre Philosophie des Zuhörens und der Begegnung anhand ihrer jüngsten Solo- und Gemeinschaftsarbeiten. Performt wird auch, und zwar ab 20 Uhr im Schlegel Kultur Club ein paar Meter weiter am Rathaus.  

Einer Pionierin der elektronischen Musik, Elisabeth Schimana, begegnet man am 6. Juni im Dortmunder mex-Keller im Künstlerhaus, deren Solostück „Sternenstaub“ eine akustische Annäherung an den Schöpfungsprozess des Universums darstellt. Karl-Heinz Mauermann,  Yaporigami und Maja S.K. Ratkje präsentieren weitere immersive Klangexperimente.

Erstmals nimmt der Wittener Saalbau am 6. Juni an dem elektroakustischen Staffellauf teil. Klaus Obermaier, Tujiko Noriko, Joji Koyama und Lachlan Turcza beschäftigen sich in ihren Aufführungen und Installation auf unterschiedliche Weise mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine – Interaktion erwünscht!

Seinen Abschluss findet das Festival am 8. Juni im ADA im Essener Grillo-Theater, wo zunächst die Ergebnisse des von Sarah Belle Reid geleiteten Workshops „Creative exploration: co-creation in the digital era“ präsentiert werden. Anschließend wird die auch als Youtuberin erfolgreiche Performerin selbst mit Trompete und Elektronik zu hören sein. Anna Maria Olsson ergänzt die Riege der elektroakustischen Improvisation mit ihrer Geige, während Yosi Horikawa der Natur ausklingend die letzte Stimme gibt.

 

Zum Programmüberblick geht es hier.

WDR 3 begleitet das Blaue Rauschen und wird Zusammenfassungen des Festivals senden. Rückblicke auf das vergangene Jahr sind bereits hier zu hören.

Mehr über die lebendige Szene der experimentellen elektronischen Musik im Ruhrgebiet bringt auch die kommende Printausgabe von kulturinfo.ruhr, die ab Ende Juni an zahlreichen öffentlichen Orten in der Metropole Ruhr wie Tourist-Informationen, Besucherzentren und Kultureinrichtungen ausliegt. Online verfügbar sind die jeweils aktuellen Ausgaben hier.