Im Profil: Jörg Hilbert

Mit einer Registrierkasse als Bauch und einem Kopf, der einem alten Kleinwagen ähnelt, ist es nicht leicht, ein Dauerläufer zu sein. Und doch ist genau dies ausgerechnet einem kleinen Ritter gelungen, der, gebaut aus dem „schönsten Schrott der Welt“, vor 30 Jahren das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Seitdem ist der Ritter Rost aus den Regalen der Kinderliteratur kaum mehr wegzudenken, und er zieht weiter unverdrossen gemeinsam mit seinem geistigen Vater, dem Essener Zeichner Jörg Hilbert, durch die Klassenzimmer der Republik.

Zwar frühstückt er ein Müsli aus Reißnägeln und Büroklammern. Doch wird es brenzlig, lässt er dem Burgfräulein Bö gern den Vortritt, der eigentlichen Heldin der Geschichten, wie Hilbert gerne betont. Bei aller Blechhaftigkeit kommt der Ritter nämlich überhaupt nicht eisenhart daher, sondern offenbart eher urmenschliche Schwächen: „Lieber sich zwei Stunden auf dem Klo langweilen als fünf Minuten beim Abwaschen helfen“: Welches Kinderherz fühlt sich da nicht angesprochen?

Und die Zahlen lassen vermuten, dass sich auch Erwachsene in den skurrilen Charakteren wiederfinden: Mehr als 1,5 Millionen verkaufte Exemplare seiner Bücher, zwei Fernsehserien, zwei Kinofilme, tausende von Theateraufführungen, eine eigene Ausstellung und ein nicht versiegender Strom an Anfragen für Lesungen sprechen für den anhaltenden Erfolg der Serie.

Absehbar war der nicht. Viele Verlage winkten ab, als Hilbert ihnen den ersten Entwurf unterbreitete. Zu unedel, zu polterig, lauteten die Reaktionen auf den Ritter Rost. Volle acht Jahre brauchte Hilbert, bis sich ein kleiner Verlag, damals noch ohne große Vertriebsstrukturen, daran machte, die sperrige Geschichte zu publizieren. Und schon die erste Auflage erschien – nicht weniger ungewöhnlich als der Ritter selbst – mit einer CD, auf der Felix Janosa dem Ritter Ton und Melodie verlieh.

Musik und Comic – das ist bis heute ein Markenzeichen und spiegelt auch die Leidenschaften seines Schöpfers wider. Auf Hilberts Facebook-Account finden sich kunstvoll gezeichnete Notenblätter aus den Achtzigern. Melodien ranken sich wie Arabesken umeinander, Komposition und Ornament gehen Hand in Hand. „Es gab eine Zeit als Jugendlicher, da habe ich mich auf ein Musikstudium vorbereitet“, sagt Hilbert. In seiner Jugend im schwäbischen Sindelfingen spielte er noch klassische Gitarre. „Schon damals habe ich in den Museen mit großen Augen die Lauten angeguckt, aber ich kannte niemanden, der mir etwas darüber sagen konnte. So ist es dann eben ein Kommunikations-Design-Studium geworden“. Angelockt vom Folkwang-Gedanken der Einheit der Künste fand er seine neue Heimat in Essen, wo er bis heute geblieben ist. Mittlerweile finden sich auch mehrere Lauteninstrumente in seiner Wohnung, die bei seinen Lesungen gern zum Einsatz kommen.
Als Spross einer „chronisch reimwütigen Familie“ mit Verwandtschaft zu Joachim Ringelnatz war ihm aber eben auch das Texten mit auf den Weg gegeben, und dieses vielseitige Talent zeigt sich bis heute in seinen Publikationen. Von den rund zweihundert Veröffentlichungen hat tatsächlich nur ein Teil mit dem heute so prominenten Blechritter zu tun. Ein preisgekröntes Schachlernprogramm für Schüler findet sich darin genauso wie Materialien für den Musikunterricht und, seit kurzem – ein Lautenlernbuch. Aber selbst ein Erfolgsautor muss für neue Ideen werben: „Coco Stolperbein“, die Geschichte um ein kleines Mädchen, das an die Konventionen der knorrigen Nachbarn stößt, habe er neunzehn Jahre lang angeboten „wie sauer Bier“, so Hilbert. 2022 landete das Buch dann auf der Shortlist des Literaturpreises Ruhr.

Der Ritter Rost aber gehöre weiter zu ihm wie „die Schraube zur Mutter“, er öffnet Türen – und Herzen. Wie bei seinen Schulprojekten im Essener Norden, wo es hieß, dass dies ein schwieriges Umfeld sei.  Auch dort haben die Schülerinnen und Schüler den Abenteuern der gerade erst erschienenen „Familie Schrottkompott“, die sich um den Ritter herum gebildet hat, aufmerksam gelauscht. Wie alle anderen Kinder an anderen Orten. „Es war grandios“, erinnert sich Hilbert. Und insofern ist er dann eben doch ein Held, sein kleiner Ritter.

Eine sehr lesenswerte Erzählung, wie der Ritter Rost das Licht der Welt erblickte, findet sich neben Terminen und den Hinweisen auf das weitere vielschichtige Schaffen von Jörg Hilbert auf seiner Website.