Im Profil: Marita Bullmann
In Wien verschaffte sie sich mit dem Knarzen einer Diele Aufmerksamkeit für die folgende Performance. Sie ließ sich in Pécs von einem Bündel Luftballons auf allen Vieren spazieren führen und fragte in Jerusalem, kauernd in einer Tasche: „Will you carry me?“. An vielen Orten der Welt war die Essener Performerin Marita Bullmann bereits mit ihrer Kunst aktiv. Zuhause im Ruhrgebiet ist sie eine wichtige Netzwerkerin innerhalb der freien Szene.
Klebestreifen, Papier, ein Eimer Wasser. Manchmal ist es auch das Blatt einer Pflanze oder eine Vase, gefüllt mit Milch: In aller Regel sind ihre Utensilien schlicht, fast schon banal, denn das Alltägliche bildet den Ausgangspunkt ihrer Performing Art, erklärt Marita Bullmann: „Ein Fotograf sagte mal, es sei interessant, wie ich in meinen Performances den Alltag verrücke, weil ich zwar Dinge des Alltags benutze, aber nicht so wie das vorgesehen ist, nicht so, wie du den Gegenstand oder das Material benutzen würdest.“
So brachte sie mit zehn Zitronen und einer gelben Luftmatratze im Rahmen der Performance „window one“ Farbe in den sonst so trüben Coronawinter 2020, in dem lange Zeit sonst gar nichts ging. Und wer sich auf ihrer Website durch die zurückliegenden Performances klickt, taucht ein in ein Universum aus Perspektivwechseln und kognitiven Phasenverschiebungen. Die Welt wirkt hier eben ein wenig „ver-rückt“.
Das war nicht immer so. Angefangen hat ihre künstlerische Arbeit eher distanziert – mit dem Blick durch den Sucher einer Kamera. In München assistierte Marita Bullmann bei einem Modefotografen, merkte aber schnell, dass ihr das aufwendige Installieren von Beleuchtungen nicht liegt. Als für das Fotografie-Studium die Wahl zwischen München und Essen aufkam, entschied sie sich für das Ruhrgebiet „Weil ich irgendwie rausmusste“, sagt die gebürtige Oberbayerin: „Das ist alles sehr schön da unten, aber nach zwanzig Jahren willst du halt was Anderes“.
In Essen begann die eigene künstlerische Verschiebung. Langsam zunächst. Videoarbeiten entwickelten sich zu ersten Studien über den Umgang mit dem vermeintlich Alltäglichen. Eine Freundin brachte sie dann mit Workshops für angehende Performance-Künstler in Kontakt und nahm sie mit nach Valencia. Wurde ihr neues Interesse in Essen damals noch mit Skepsis beäugt, lernte sie dort Leute kennen, „die wirklich dafür brennen, das war schon toll“.
Weitere Workshops folgten, und 2012 kam für sie die erste Einladung. Mit einer Förderung der Kunststiftung NRW ging es nach China. Seither ist die Welt ihr Zuhause: Toronto, Buenos Aires, Tel Aviv, Riga, Belfast, Guangzhou – nur einige der Orte, an denen sie bisher performt hat. In Brasilien war sie gerade zum fünften Mal.
Vieles davon hat mit persönlich Kontakten und Freundschaften zu tun. „Meist wird man schnell in die lokale Szene aufgenommen“, erklärt Bullmann. Performance Kunst: das sei nach wie vor eine Nische, „in der der man sich gegenseitig unterstützt und herumgereicht wird und selbst tief in den Alltag vor Ort eintaucht“. So sehr, dass sie manchmal geradezu darauf bestehen musste, mal touristische Sachen zu machen. Die Tempel in Bangkok, wofür die meisten Menschen dorthin reisen, hätte sie sonst wohl nicht gesehen.
„Total dankbar“ ist sie für das, was sie auf den Reisen schon alles erleben durfte. Aber irgendwie sei das auch alternativlos. „Was für mich die Performance ausmacht, ist das gemeinsame Erleben. Das energetische Zusammenkommen von Leuten in einem Raum: Das kann positiv sein, oder negativ – aber es macht etwas mit dir.“ Nur konsequent daher, dass sie in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, eine Wandschrift einfach umdeutete: Aus „Performance Art Pavilion Live Stream“ machte sie per Klebestreifen „Live Action“. Streaming ist nicht ihr Freund.
Vieles von der Gastfreundschaft und der künstlerischen Freiheit, die sie woanders erfahren hat, bringt sie mit ins Ruhrgebiet. „Ich bin auch durch eine harte Schule gegangen und habe dabei gelernt, wie wichtig es ist, Leute gut zu beherbergen und richtig zu präsentieren.“ Performer, die sie einlädt, gibt sie daher gerne eine carte blanche für einen Abend: „Wenn mein Publikum heil bleibt, und wenn der Raum danach auch noch steht, wäre ich dir dankbar“, lautet ihr Motto. Ansonsten: Keine Vorgaben.
Aktuell ist der „Laundry Clash“ die gemeinsam von ihr und Florian Walter kuratierte Reihe, mit der sie in den Waschsalons der Region präsent ist. Es gibt Musik und Performances, während in den Trommeln drumherum gespült und geschleudert wird. Kunst als niedrigschwelliges Angebot. Und das gehe gerade im Ruhrgebiet immer noch besonders gut. Der Blick aus ihrem Atelier fällt auf die Viehofer Straße in Essen. Eine „cooler Ort“, wie Marita Bullmann findet, denn hier gibt es Möglichkeiten, die andere Städte nicht mehr bieten. In Köln würde es heißen: „Ach, Du machst Kunst? Auch egal. Hier im Ruhrgebiet kann man noch die Leute erreichen und Kunst ist für alle da, nicht nur für eine Elite in den Galerien und Museen“.
Damit dieses Erreichen noch besser funktioniert, hat sie gemeinsam mit Denis Bury ein weiteres Projekt ins Leben gerufen: die Plattform Zeit.Raum.Ruhr, wo sich Orte und Initiativen von Unna bis Moers vernetzen und Termine teilen können. Das Feedback sei super, aber dahinter stecke so viel Arbeit, dass sie im Moment eine „toxische Beziehung mit diesem Projekt“ fühlt. Es brauche vielleicht noch ein wenig, bis es sich verstetigt, sagt sie. An Zuspruch aus der Szene mangelt es jedenfalls derzeit nicht.