Im Profil: Wolfgang van Ackeren

Diesmal zieht es ihn hinter die Brücke, direkt an den Rhein. Vier Stunden Musik, live, improvisiert, offen für sich stetig wandelnde Konstellationen wird es dort zu hören geben – ein Klang-Experiment, ganz im Sinne des Duisburger Musikdramaturgen Wolfgang van Ackeren, für den das Zusammenspiel von Ort und Klang seit jeher eine zentrale Rolle seiner Arbeiten darstellt.

Eigentlich würde er mit dem kleinen Open-Air gerne direkt unter der Ruhrorter Brücke an den Start gehen, dort wo die Autos von oben einen gedämpften Rhythmus erzeugen und der Hallraum ein ganz besonderer ist. Das aber ließen genehmigungsrechtliche Bedenken nicht zu. Also heißt die Veranstaltung nicht „under“, sondern „behind (A) bridge“; der künstlerische Grundgedanke aber ist geblieben: Sechs Musikerinnen und Musiker improvisieren sich am 24. August in den Sonnenuntergang, ohne Vorgaben, ohne Strukturen, ohne Hierarchie. „Wir feiern den anarchistischen Geist in der Musik und suchen die Ordnung ohne Herrschaft. Es gibt keinen Bandleader, keine determinierte Komposition. Stattdessen entsteht eine freie, installative Kollektiv-Komposition“, sagt van Ackeren.

Neue, eigene Wege suchen: Das zieht sich durch seine künstlerische Biographie. In der Schule war er der Einzige, der in Musik Klausuren schrieb. Bass-Lektionen erhielt er vom Pfarrer, und startete seine Musiker-Laufbahn in der Punkband. „Die Punkszene Anfang der Achtziger war hier in Duisburg richtig toll,“ erinnert sich van Ackeren. Seine Musik war das aber nicht. „Alle hörten Rock, ich stand auf Schönberg und zweite Wiener Schule“.

Ein „Quartett für 4 Hörner in F“ brachte er mit drei Mitbewohnern seiner WG beim Prokofieff-Festival zur Uraufführung. Aber auch diese „klassischen“ Säle, merkte er, waren nicht seins. Ein ehemaliges Hüttenwerk passte eher zu ihm. Als Simon Stockhausen 1993 eine große Produktion in der Meidericher Kraftzentrale startete, hatte er den Schlüssel und lauschte abends den großen Gongs, die mit ihrem großen Klang den Raum durchfluteten.

Er versuchte, Musikwissenschaft in Bochum zu studieren, organisierte stattdessen Veranstaltungen, landete schließlich an der TU Berlin bei der renommierten Helga de la Motte-Haber. Er arbeitete als Komponist für Hörspiele, war mit seinen Produktionen mehrfach Teilnehmer des Berliner Hörspiel Festival, zuletzt mit dem Stück „Im Zuge der Ernüchterung“.

 Aber alles, was in seinem Heimatstadtteil vor sich geht, trifft ihn in besonderem Maß. Dass die Orgel von St. Maximilian in Ruhrort einen Wasserschaden hat, schmerzt ihn hörbar. Hier hat sein Vater als Organist gewirkt, hier hat er selbst Auftritte mit namhaften Musikern betreut und organisiert. Für das soziokulturelle Lokal Harmonie, direkt hinter der Kirche gelegen, gestaltet er einen Teil des dortigen, mehrfach ausgezeichneten Musikprogramms. „Dieser Raum ist unglaublich dankbar für Bespielung“, sagt er. Sieben Jahre hat er verschiedene Spielarten der improvisierten Musik durchdekliniert und neue Wege auch der Inszenierung gesucht. Die Frontalbeschallung schätzt er gar nicht, viel lieber möchte er Menschen dazu animieren, sich den Klang selbst zu suchen. Ist er Kurator? Er bevorzugt für seine Arbeit die Bezeichnung Musikdramaturg, weil es auch mit Licht zu tun hat, mit Bestuhlung, eben mit Dramaturgie.

Auch bei seinem bislang größten Projekt ging es um Klang, der entdeckt werden will. Im Meidericher Hüttenwerk, mittlerweile „Landschaftspark“, war im Beethovenjahr 2020 die 6. Symphonie einmal ganz anders zu erleben, fragmentiert, geheimnisvoll verteilt über das weitläufige Gelände. Die Projektleitung der 60-Stunden andauernden Klanglandschaft „Desymphonic“ lag bei van Ackeren.

Auch beim Bühnen-Open-Air wird die Brücke nicht vor Kopf stehen, sondern im Zentrum. Van Ackerens Empfehlung: „Bringt euch Decken mit, sucht euch einen schönen Platz. Wir wissen zwar noch nicht genau, wie es wird, aber es wird klanglich sicherlich Sweetspots geben, und dort wird es ganz toll“.