„Die Chance für die RuhrBühnen liegt in unserer Einheit in Vielfalt“

Elf öffentlich getragene Bühnen in neun Städten und zwei der renommiertesten Festivals haben sich bereits vor acht Jahren als RuhrBühnen zu einem hochkarätigen Netzwerk zusammengeschlossen. Gerade erst wurden Vasco Boenisch, Chefdramaturg am Schauspielhaus Bochum, und Olaf Kröck, Intendant der Ruhrfestspiele Recklinghausen, zu den neuen Sprechern der RuhrBühnen gewählt. Ein Gespräch über Nachhaltigkeit und Erfindungsgeist, die Sehnsucht nach dem Live-Erlebnis und die Herausforderungen der kommenden Jahre.

Zum Netzwerk der RuhrBühnen haben sich elf öffentlich getragene Bühnen und zwei überaus renommierte Festivals zusammengeschlossen.

Masken-Pflicht und Corona-Auflagen gehören (zumindest im Moment) der Vergangenheit an. Wie groß ist die Lust der Menschen, wieder dicht an dicht gemeinsam vor einer Bühne zu sitzen?

Vasco Boenisch:Mein Eindruck ist, dass sich viele Menschen nach genau diesem Erlebnis zurückgesehnt haben. Nicht mehr allein zu Hause vorm Computer sitzen, sondern ein Live-Erlebnis zusammen mit anderen Menschen teilen! Das kann so nur Theater. Ich bilde mir ein, es auch am Applaus zu merken, der oft besonders enthusiastisch ist. Es lässt sich wahrnehmen, wie dankbar die Menschen sind, wenn sie für ein paar Stunden SchauspielerInnen zugesehen und die Verbindung zwischen Bühne und Publikum, aber auch innerhalb der ZuschauerInnen gespürt haben. Vereinzelt behalten Menschen noch ihre Maske auf, was natürlich völlig ok ist. Ich denke auch, dass es weiterhin Menschen gibt, die sich erst wieder an das „dicht an dicht“ gewöhnen müssen und zögerlich zurückkehren. Aber diejenigen, die in unsere Theater kommen, sind sehr beglückt.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft des Publikums ein, auch jenseits der eigenen Stadt neue Bühnen zu entdecken? Und wie tragen die RuhrBühnen dazu bei, diese Bereitschaft zu fördern?

Olaf Kröck: Auf der einen Seite ist das Ruhrgebiet ein Ballungsraum mit hoher Mobilität. Die Menschen hier pendeln nicht nur zur Arbeit oder zur Uni, sondern auch in der Freizeit gibt es große Bewegungen. Andererseits ist das Ruhrgebiet bis heute ein urbaner Raum, der die Grenzen der 53 Städte und Gemeinden nicht aufgelöst hat. Und so beziehen sich sehr viele doch vor allem auf „ihre“ Stadt. Da ist das „eigene“ Theater meist der erste Bezugspunkt. Darum macht ein Zusammenschluss wie der der RuhrBühnen aus unserer aller Sicht so viel Sinn. Wir können und müssen stetig das Programm und Profil unserer eigenen Häuser stark machen. Und das bedeutet auch eine gewisse Konkurrenz untereinander. Gleichzeitig arbeiten wir in der Vernetzung gemeinsam an Themen und an öffentlicher Aufmerksamkeit, die für uns alle wichtig sind. In diesem Spannungsfeld bleibt es dann auch für das Publikum der Region spannend, die Bühnen jenseits der eigenen Stadtgrenze wahrzunehmen und zu besuchen.

Gerade erst zu den neuen Sprechern der RuhrBühnen gewählt: Vasco Boenisch (links bzw. oben) und Olaf Kröck.

Seit 2022 hat das Schauspiel Essen erfolgreich auch VR-Inszenierungen für den Theatergenuss in den eigenen vier Wänden im Angebot. Welchen Stellenwert wird das digitale Bühnenerlebnis künftig einnehmen? Stehen neue VR-Angebote in Konkurrenz zur bewährten Bühnenaufführung?

Olaf Kröck:Die Coronapandemie hat die Darstellenden Künste insgesamt erfinderischer gemacht und manche Entwicklung beschleunigt. Da sind viele interessante Experimente passiert mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen. Das hat vor allem gezeigt, wie lebendig und innovativ das Theater ist und wie groß die Bereitschaft, Neues zu probieren. Corona hat einigen der RuhrBühnen einen Digitalisierungsschub beschert, auch wenn der vorrangig eher in den Arbeitsprozessen und der Kommunikation lag. Aber es sind eben an vielen Stellen digitale Formate erprobt worden. Das Theater – das Schauspiel, die Oper, der Tanz – ist eine Live-Kunstform. Darum sind auch die KollegInnen der RuhrBühnen mehr als erleichtert, endlich wieder ohne pandemische Einschränkungen ihre Arbeit umsetzen zu können. Und das führt aktuell zu einem großen kreativen Output auf der analogen Bühne. Dennoch sind neue Praktiken in der Welt und werden auch zukünftig für die Kunst eingesetzt werden. Eine Verdrängung des einen durch das andere kann ich nicht erkennen.

Nachhaltigkeit ist eines der großen Themen der Bundesregierung. Aber viele Theater sind alt, die Haustechnik ist in die Jahre gekommen. Wie wollen die Bühnen künftig die Transformation schaffen und sich für die Zukunft aufstellen?

Vasco Boenisch:Ganz wichtiges Thema. Nicht nur, weil die Bühnen gesellschaftspolitisch immer den Anspruch haben, innovativ zu sein. Es wird auch staatliche Förderung zunehmend daran geknüpft werden, nachhaltig zu produzieren. Also sind immer mehr Bühnen damit beschäftigt, ihre Klimabilanzen zu erheben, um dann zu sehen, an welchen Punkten verbessert werden kann – und wo womöglich auch nicht viel geht, jedenfalls nicht ohne große Investitionen, etwa in Wärmeisolierung oder neue Fuhrparks. Diese großen Stellschrauben werden die Bühnen nicht aus eigener Kraft bewegen können, da sind die TrägerInnen dann mit gefragt. Was wir hausintern tun können, sind zum Beispiel nachhaltigere Produktionsweisen bei Bühnenbildern und Kostümen, schädliche Materialien weglassen, mehr recyceln und upcyceln; wir können Teile der Beleuchtung auf LED umstellen und auch im Büroalltag mehr ökologische Produkte verwenden, Strom sparen, keine innerdeutschen Flüge mehr buchen usw. Nicht zu vergessen ist auch soziale Nachhaltigkeit, also die Frage, wie wir im Theater mit personellen Ressourcen umgehen – auch hier zeichnet sich ein steigender Handlungsdruck in den kommenden Jahren ab: Im technischen Bereich ist es schwer geworden, Personal zu finden, weil die Arbeitsbedingungen auf dem freien Markt offenbar besser sind; und auch im künstlerischen Bereich – SchauspielerInnen, Assistierende, DramaturgInnen – wächst der Anspruch, nicht einzig fürs Theater zu leben. Auch dies wird das System Stadttheater in den kommenden Jahren verändern.

Was sind Ihrer Meinung nach weitere großen Herausforderungen, denen sich die RuhrBühnen in den kommenden Jahren stellen müssen? Gibt es schon gemeinsame Projekte?

Vasco Boenisch: Wie alle Theater werden auch die RuhrBühnen sich vielen Herausforderungen stellen müssen – finanziell, strukturell und inhaltlich. Das heißt, neben dem schon Gesagten: Finanzierung des Programms bei klammen Kassen der Städte einerseits und Inflation und Tarifsteigerungen andererseits, Produktions- und Arbeitsabläufe modernisieren trotz Personalmangels, Rückgewinnung und Bindung des Publikums, mehr Diversität beim Personal und Programm, mehr Inklusion und Barrierefreiheit. Die Chance für die RuhrBühnen speziell liegt in unserer Einheit in Vielfalt, wenn man es so formulieren will. Unser Potenzial ist, nicht allein kämpfen zu müssen, sondern kollegial voneinander lernen und für gewisse Vorhaben die Kräfte bündeln zu können. Dafür spüre ich große Bereitschaft und sogar Aufbruchstimmung.

Olaf Kröck:Mobilität ist ein weiteres gemeinsames Thema. Einige Bühnen haben in ihren Eintrittskarten bereits ein Nahverkehrsticktet inklusive. Wie gut wäre es, wenn dies bei allen RuhrBühnen der Fall wäre. Auch unter dem Aspekt der nachhaltigen Mobilität wäre es wirklich attraktiv.